Zwölf internationale Künstler*innen setzen sich mit dem Phänomen der Selbstoptimierung auseinander, übertreiben sie, untersuchen ihre Irrwege und führen die absurde Diskrepanz zwischen Selbst-Inszenierung und Entblößung, zwischen Sehnsucht und Enttäuschung vor Augen. Die Ausstellung läuft noch bis zum 1. Juli 2018.

In vergangenen Zeiten wäre den Menschen eine freiwillige körperliche Betätigung völlig absurd erschienen. Der Mensch war froh, wenn er einfach nur ruhig dasitzen und ausruhen durfte.

Schwere körperliche Arbeit muss in der westlichen reichen Gesellschaft heute kaum noch jemand verrichten. Der Nachteil: Zivilisationskrankheiten und Fettpolster. „Schäm Dich!“ sagen die Plakate mit den makellosen Schönheiten darauf. „Tu was“, sagt die Sportindustrie und bietet Lösungen für jede Problemzone an: Sportgeräte, Fitnessstudios, passende Funktionskleidung, spezielle Schuhe, Fitnessarmbänder, Energydrinks etc.

Stefan Wischnewski, „Work-out“, zusammengenähte Teile von Arbeitskleidung, Durchmesser ca. 3m

Der Bildhauer Stefan Wischnewski setzt eins drauf: Aus den geschmacklos-bunten Materialien und Textilien der Sportartikel, die er zerlegt und neu zusammennäht, entstehen Objekte. Es gibt bei ihm eine „Work out“-Decke, den mit Stoff bezogenen Gymnastikreifen „Giant“ und das große amorphe Gerät „YAM BAM“. YAM BAM heißt übrigens auch die „Geschmacksexplosion in Sachen Proteinriegel“ des Sportnahrungsherstellers „Body Attack“!

Kazuhiko Kagegawa, "Milieu", 2007, Video (Filmstill)

Der japanische Videokünstler Kazuhiko Kagegawa zeigt ästhetisch überhöht die Arbeit am perfekten Körper. Auf seinem Video sieht man in einem diffusen Blau gehalten „die gestählte Körpermitte eines männlichen Körpers, dessen leichten, fast unmerklichen Atembewegungen man in einem Loop meditativ folgen kann“, wie Franz Schneider, Vorsitzender der Neuen Galerie Landshut, bemerkt. Die Schweißperlen, die den Körper entlang fließen, zeugen von Anstrengung. Es findet eine beinahe sakrale Überhöhung des Körpers als sichtbares und vorzeigbares Gefäß unserer stetigen Arbeit am Selbst statt: der Körper als Fetisch!

Paul van Osch, "Dandelion", 2006, Holz, Pferdehaar, 30 x 20 x 7 cm

Speziell Haare können zum Fetischobjekt werden. Lange Haare galten in manchen Kulturen als Energiespeicher. Sie jemandem abzuschneiden, bedeutete, ihn seiner Kräfte zu berauben. Bekannt ist die abenteuerliche Geschichte von Samson aus dem Alten Testament. Der Künstler Paul van Osch präsentiert eine rätselhafte Kiste, aus der lange eingeklemmte Haarbüschel ragen. Der Titel der Arbeit „Dandelion“ (Löwenzahn) könnte ein Hinweis darauf sein, dass van Osch tatsächlich auf Samson Bezug nimmt, der es dank seiner Zauberkräfte in den langen Haaren geschafft hat, einen Löwen in Stücke zu reißen.

Dagmar Pachtner, „Nur eine Spur“, 2003, MdF, Fotoprint, 55x100cm

Die Haut ist die Problemzone Nr.1 des Menschen. Sie offenbart gnadenlos das Alter: Pickel, Runzeln, Falten, Pigmentflecken und Dellen. Dagmar Pachtner stellt starke Vergrößerungen von fotografierten Hautoberflächen beispielsweise der glatten, absolut perfekten Oberfläche von Autolack gegenüber. Oder sie kontrastiert Haut mit einem Tableau von Glühbirnen, die an die Umrahmung der großen Spiegel in Theatergarderoben erinnern, wo helle Ausleuchtung schmerzhaft ehrlich ist.

Veronika Veit, "Que Sera", Video (4:58 min)

Extra für diese Ausstellung hat die Künstlerin Veronika Veit eine Videoarbeit produziert. Eine junge Frau plappert in einem fort über Klamotten, die sie unbedingt haben muss und führt dabei manches modische Teil im Spiegel vor. Sie steht für eine Gesellschaft, die genau solchen Leuten hörig folgt, wenn sie als Bloggerinnen oder Blogger im Internet hippe Outfits und andere Produkte bewerben.

Judith Egger, „Kraftraum für feinstoffliche Wesen“, 2015, Detail

Den kritischen Blick von außen auf unseren Selbstoptimierungswahn ermöglicht der Besuch von Judith Eggers „Kraftraum für feinstoffliche Wesen“. Die im Raum verteilten Turngeräte kommen uns bekannt vor. Doch ist alles sehr zierlich und winzig, die Proportionen erscheinen oft verzerrt. Amüsiert stellen wir uns das Workout dieser Wesen vor. Ebenso amüsiert würden vermutlich Außerirdische die menschliche Spezies beim schnaufenden Stemmen von Gewichten, beim gewagten Balancieren auf einem Seil und allerlei Verrenkungen beobachten.

Doris M. Würgert, "Claire", 2000, Gummidruck auf Nessel, 156 x 206 cm

„Claire“ ist keine wirkliche Frau, Claire ist eine Figur aus einem Computerspiel. Die Flucht in virtuelle Welten ist eine Möglichkeit, in die Rolle von Superhelden zu schlüpfen und dem Leistungsdruck der realen Welt zu entfliehen. Doris Würgert entnimmt Standbilder aus verschiedenen Folgen eines Videospiels und überträgt diese mittels Gummidruck auf Leinwand.

Iska Jehl, Aus der Serie „Wo willst Du leben“, 2018, Fotodruck auf Alu-Dibond

Ein weiteres Zitat von Franz Schneider: „Der Trend zur Optimierung dringt inzwischen in die letzten privaten Lebensbereiche, bis in unsere Wohnungen ein. Iska Jehl zeigt in der Foto-Serie ‚Wo willst Du leben?‘ Aufnahmen von Wohn-Interieurs mit Fensterausblicken in Sehnsuchtslandschaften und Traumnachbarschaften. Sie sind alle den Katalogen für das gehobene Wohnambiente entnommen und stehen in deutlichem Kontrast zu den tatsächlichen Ausblicken in Gegenden mit bezahlbarem Wohnraum.“

Valentin Goderbauer, "Last Waltz", 2013, modifizierte Rollatoren, Dreischicht-Autolack, 94 x 88 x 78 cm

Valentin Goderbauer widmet dem Thema seine Serie der „Reha-Geräte“. Durch leichte Umbaumaßnahmen und die entsprechende Farbgebung in Grün und Orange macht er Rollatoren und Gehhilfen „biergartentauglich“. Der bitter-ironische Titel ist „Ausschankschluss“. Das traurige, leider oft unwürdige Ende im Alten- oder Pflegeheim führt der Künstler zudem in Arbeiten wie „Last Waltz“ vor Augen. Ein mädchenrosa und ein bubenblau lackierter Rollator wurden ineinander verschränkt und verschweißt für den letzten Tanz.

 

Wolfgang Ellenrieder, "Modell für neues Wohnung", 2017, Pigment, Bindemittel, Holz, PVC, Karton, Glas, Macralon, ca. 75 x 40 x 37 cm

Wolfgang Ellenrieder hat einen „Kiosk des Glücks“ gebaut. Reinhard Spieler, Direktor des Sprengel Museums in Hannover, beschreibt das Phänomen „Kiosk“ so: „Als Institution ist uns der Kiosk wohl vertraut: das Büdchen um die Ecke, das uns auch am Wochenende und zu später Stunde noch die Notversorgung garantiert. Kleine Inseln im Großstadt-Meer mit magischer Anziehungskraft für Gestrandete, allesamt auf der Suche nach kleinen Glücksmomenten in Form von Zigaretten, Jägermeister, Dosenbier und Rotwein, die sich am nächsten Morgen meist noch (Kopf-)schmerzhaft in Erinnerung rufen.“

Birthe Blauth und Jutta Burkhardt, "K-Geist 100", 2012ff, Transfusionsstation von Künstlergeist, Maße variabel

In Zeiten von Industrie 4.0 und fortschreitender Digitalisierung haben die Künstlerinnen Birthe Blauth und Jutta Burkhardt geforscht, wie man die „menschliche Kernkompetenz, nämlich Kreativität“, stärken kann. Täuschend echt wie in einem medizinischen Labor bieten sie eine Technologie an, „mit der Künstlergeist entnommen und auf andere Personen übertragen bzw. transfundiert werden kann“. Denn, so die ebenso geistreiche wie witzige Behauptung der Künstlerinnen: „Bei dem Wirkstoff „K-Geist 100“ handelt es sich um 100% reinen Künstlergeist, welcher vorschriftsmäßig eingenommen, die Kreativität steigert.“

Text: Auszüge aus der Einführung von Ursula Bolck-Jopp, Vorsitzende des Kunstvereins Landshut.

 

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